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Aktuelles
 (eng.)

Äthiopien
Geschichtlicher Überblick


"Dreizehn Monate Sonnenschein"
Mit diesem Slogan warb Äthiopien früher erfolgreich um ausländische Besucher. Später blieben die Touristen aus. Die "Wiege der Menschheit", das Wasserreservoir Nordostafrikas, wurde in den 1980er Jahren zum Symbol des Hungers. Stellvertretend stand es damit für das Schicksal des ärmsten Kontinents. Einst ein blühendes christliches Reich mit großer Kultur, ernährte das fruchtbare Hochland leicht seine Bevölkerung. Seit aber der Staat und der Weltmarkt die Bauern nicht länger ihr eigenes Korn anbauen ließen, wuchsen Unordnung und Not von Jahr zu Jahr. Unmut schlug in Revolution um, Verzweiflung in Terror. Erst das Ende des Bürgerkriegs 1991 weckte neue Hoffnungen, die jedoch nach wiederholten Konflikten mit dem 1993 gegründeten Nachbarstaat Eritrea begraben wurden.

Der Löwe von Juda
Drei bis vier Millionen Jahre alt sind die Gebeine von "Lucy", die 1974 im Awash-Tal auf äthiopischem Boden gefunden wurden und somit zu den ältesten Skeletten eines Hominiden zählen. Im gleichen Jahr wurde das älteste Kaiserhaus der Welt gestürzt. Der "Negus" Haile Selassie (1892-1975) entstammte jener Dynastie, die - laut äthiopischem Nationalepos - um 1000 v.Chr. von Menelik I., einem Spross aus der Verbindung König Salomons von Juda mit der Königin von Saba, begründet wurde.
Diese Legende spiegelt die enge Verbindung Äthiopiens zu Saba in Südarabien wider, von woher seit vorchristlicher Zeit Semiten einwanderten, die dem Land den Namen "Abessinien" ("Völkergemisch") gaben. Das griechische "Aithíopes" ("verbrannte Gesichter") bezeichnete zunächst alle Afrikaner südlich von Ägypten. Die sabäischen Einwanderer gründeten das Reich von Aksum, das vom Handel mit der hellenistischen Welt lebte und im Jahre 330 zum Christentum bekehrt wurde. Doch schon mit dem Bekenntnis zum monophysitischen Glauben (451) lockerten sich die Bande zur römischen Kirche, und im 7. Jahrhundert isolierte der Siegeszug des vordringenden Islam die Abessinier von Europa. Sie gaben den Handel auf und zogen sich als Bauern in die Berge zurück; es entstanden die beiden Völker Amhara und Tigre.
Seit Beginn des 11. Jahrhunderts herrschte die nicht-semitische Dynastie der Zagwe. Als eifrige Chri- sten erbauten sie inmitten eines wilden Olivenhains das "afrikanische Jerusalem" Lalibela. Seit 1270 verdrängten amharische Prinzen der salomonischen Dynastie die Zagwe und unterwarfen im 14. Jahrhundert die islamischen Sultanate im Südosten. Ihre militärische Macht ermöglichte ihnen sogar den Schutz der ägyptischen Christen, und wirtschaftliches Wohlergehen begünstigte eine kulturelle Hochblüte. Die Kirche war wichtigste Stütze des Kaisers. In den Klöstern entstand eine eigene Nationalliteratur.
Abessinien besann sich nun vermehrt auf das eigene Erbe, baute neu, was in den Wirren zerstört worden war. In Gondar, Hauptstadt seit 1636 und nach Kairo zweitgrößte Stadt Afrikas, entstanden zahllose Kirchen und Klöster. Ein Juwel ist die Kapelle Debre Berhan Selassie, deren Wand- und Deckenbemalung oft kopiert wurde. Auch auf stillen Inseln im Tanasee verstecken sich viele herrliche Klöster, die nur mit schmalen Papyrusbooten erreichbar sind. Der streng wirkende Kaiserpalast zu Gondar zeigt indisch-portugiesischen Stil: die amharische Renaissance ließ sich geistig durchaus von den Mächten befruchten, die sie politisch vor der Tür hielt.

Invasion und Renaissance
1498 entdeckten die Portugiesen den Seeweg nach Indien. Die Herstellung direkter Beziehungen zu dem Gewürzland schaltete den Zwischenhandel über das Rote Meer aus, der bislang in den Händen der Moslems gelegen hatte. Das hatte empfindliche wirtschaftliche Konsequenzen für die Sultanate im Süden. Als Portugal versuchte, Abessinien für einen Stellvertreterkrieg gegen den Islam zu gewinnen, drang Ahmad Grañ (1506-1543) in einer Serie von Feldzügen bis ins Herz des Hochlandes vor. Gleichzeitig begannen die Oromo, animistische Nomaden, nach Norden zu ziehen. Nur mit portugiesischer Hilfe konnte Grañ 1543 besiegt werden. Die Oromo-Invasion zerstörte die Sultanate vollends.

Feudale Restauration
Nach 1750 zerfiel das Reich in Teilfürstentümer. Mächtige Feudalherren schwangen sich zu unabhängigen Provinzfürsten (Ras) auf. Erst angesichts der wachsenden Bedrohung durch ägyptische und europäische Kolonialinteressen gelang seit 1855 schrittweise die Wiedervereinigung. Kaiser Menelik II. (1844-1913) konnte die Errichtung einer italienischen Kolonie am Roten Meer (Eritrea) zwar nicht verhindern, doch nach seinem Sieg über Italien 1896 schob er in Verträgen mit den europäischen Mächten Äthiopiens Grenzen weit nach Südosten ins somalische Gebiet vor.
Der Konkurrenz der Europäer untereinander und dem diplomatischen Geschick des Kronprinzen Ras Tafari Makonnen von Schoa, der sich 1930 als Haile Selassie zum "König der Könige" ("negus negesti") krönen ließ, verdankte Äthiopien seine Unabhängigkeit. 1926 wurde das Land in den Völkerbund aufgenommen, doch verhinderte dies nicht den Überfall italienischer Truppen, die 1936 durch Giftgaseinsatz Äthiopien eroberten. Der "Negus" verließ sein Land. 1941 wurden die Italiener wieder vertrieben. In den folgenden Jahren suchte Kaiser Haile Selassie amerikanische Unterstützung für ein Modernisierungsprogramm des Landes, das jedoch an seiner autokratischen Herrschaft und der feuda- listischen Gesellschaftsstruktur nichts änderte.
Anfang der 1970er Jahre war das feudalistische Regierungssystem Haile Selassies am Ende. Die ver- armten Bauern litten unter den Abgaben an die Großgrundbesitzer, das städtische Bürgertum sah sich in seinen Entfaltungsmöglichkeiten eingeengt. Die Inflation im Gefolge der Dürrekatastrophe von 1973 löste in Äthioien Massendemonstrationen und Streikwellen aus und leitete die Revolution von 1974 ein. Doch schnell übernahm die Armee die Macht.

Der "Rote Negus"
Im September 1974 wurde Kaiser Haile Selassie I. nach fast sechzigjähriger Herrschaft abgesetzt. Die Staatsgewalt übernahm ein "provisorischer militärischer Verwaltungsrat" (Derg), der Äthiopien 1975 zur Republik erklärte.
Aus blutigen inneren Machtkämpfen ging 1977 Mengistu Haile Mariam (*1937) als stärkster Mann im Derg hervor, doch dauerte es ein weiteres Jahr, bis die Machtfrage endgültig geklärt war - eine Zeit, die von Einschüchterungs- und Unterdrückungskampagnen gekennzeichnet war und in der mehrere tausend Menschen dem "Roten Terror" zum Opfer fielen. Ein Versuch des Nachbarlandes Somalia, die Wirren zur Eroberung des somalisch bewohnten Ogaden auszunutzen, wurde mit Hilfe kubanischer Truppen und sowjetischer Berater 1978 zurück- geschlagen.
Das Militär wurde zur Staatskaste, die sozialistische Slogans benutzte, um ihre Privilegien zu sichern. Über die Hälfte der Aktivisten der 1984 gegründeten "Äthiopischen Arbeiterpartei" (WPE) waren Soldaten. Neben diesen blieben arme Städter, denen man Wohnung und Brot gab, sowie die vom feudalen Joch befreiten Bauern die Hauptstützen des Regimes.

Afrikas längster Krieg
Im Zentrum des Landes konnte Mengistu seine Gegner ausschalten, doch in den Provinzen herrschte weiterhin Krieg. Seit 1961 forderte Eritrea seine Unabhängigkeit, seit 1976 kämpfte Tigre für Autono- mie. Kleinere Guerillagruppen operierten unter den Oromo, Somali und Afar. In Eritrea leben christliche Hochlandbauern und moslemische Nomaden. Durch die Unabhängigkeitsbewegung entwickelte sich ein eritreisches Nationalbewusstsein. Angesichts der Aufhebung der Autonomie (1962) griff man zur Waffe. Seit Ende der 1980er Jahre verdichtete sich der Widerstand gegen die Zentralregierung. 1991 stürzten verschiedene Rebellengruppen unter Führung der "Volksdemokratischen Revolutionsfront" (EPRDF) das Mengistu-Regime. Mengistu floh außer Landes. Eine Nationalkonferenz setzte einen Staatsrat mit der Aufgabe ein, demokratische Strukturen und Institutionen zu etablieren, was mit der neuen Verfassung von 1994 umgesetzt wurde. Nach einem von der UNO überwachten Referendum wurde die Provin Eritrea am 24.5.1993 zum selbständigen Staat. Ministerpräsident Meles Zenawi (*1955), der frühere Generalsekretär der EPRDF, betreibt die juristische Aufarbeitung der Mengistu- Ära und versucht, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu forcieren. Seit der Staatsgründung Eritreas kam es wiederholt zu bewaffneten Konflikten zwischen Truppen beider Staaten.

Vielvölkerstaat
Die Bevölkerung setzt sich aus über 100 Nationalitäten und ethnischen Gruppen zusammen. Seit dem 13. Jahrhundert bestimmte jedoch die Minderheit der christlichen Amharen die Geschicke des Landes. Gestützt auf die Kirche breitete sich ihr Feudalstaat immer weiter nach Süden aus. Dabei wurden Teile der Oromo assimiliert. Erheblichen Widerstand leistete die islamische Bevölkerung.
Einer Neuorganisation der 14 Provinzen nach ethnischen Kriterien warf man vor, statt einer Dezentra- lisierung nur neuen Eliten zu dienen. Die stärkste Kritik aber erntete das Umsiedlungsprogramm: 1985 wurden 600.000 "Freiwillige" aus dem trockenen, übervölkerten Norden in neuen Dörfern im frucht- baren Südwesten angesiedelt. Damit wurden sie dem Einfluss des Widerstands in Eritrea und Tigre entzogen und halfen mit, die ansässige Bevölkerung zu kontrollieren. Aufgrund internationaler Proteste wurde die Zwangsumsiedlung 1986 vorübergehend gestoppt. Aufgabe der neuen Regierung wird es sein, ohne Zwangsmaßnahmen einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu finden.